Sie sind hier
- Startseite »
- Allgemeinenzyklopädien »
- Deutsche Enzyklopädien »
- Alphabetische Enzyklopädien » Meynier 1821 – Neues Conversations- und Zeitungs-Lexicon
- Deutsche Enzyklopädien »
- Allgemeinenzyklopädien »

Neues Conversations- und Zeitungs-Lexicon für alle Stände
Wikipedia, dt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Heinrich_Meynier
Neue Deutsche Biographie 17 (1994), S. 401-402.
http://www.deutsche-biographie.de/xsfz62967.html
"Seit der Erscheinung der ersten Ausgabe des Rothischen Lerixons für Leser aller Classen (Nürnberg 1788) fühlte man von Jahr zu Jahr lebendiger das Bedürfnis eines erklärenden Wörterbuchs für die unzählige Menge fremder Wörter und Redensarten, die sich seit undenklichen Zeiten in die deutsche Sprache eingeschlichen haben. Die Liebe zum Lesen verbreitete sich seit jener Zeit immer mehr unter den mittleren Volksclassen, und steigt noch jetzt mit jedem Tage; immer allgemeiner wird daher das Verlangen nach Hülfsmitteln zur Erläuterung des Unverständlichen in den Zeitungen und andern Zeitschriften, selbst Lesebüchern die sich in den Händen des Volkes befinden. Das eifrige Bestreben welches sich seit der Befreiung unsers Vaterlandes von dem Joche der Franzosen geäußert hat, auch die deutsche Sprache von den Spuren ihrer Herrschaft zu reinigen, hat jenes Bedürfnis noch erhöhet.
Zwar sind vor mir schon mehrere würdige Männer aufgetreten, die dasselbe, durch zweckmäßige Werke zu befriedigen suchten; die einen aber schienen mir zu mager, zu ungenügend, die andern zu weitläufig. Manche z. B. haben nur dürftige Worterklärungen des Allernothwendigsten; andere nahmen in ihre Wörterbücher fremde Wörter aller Art nach allen ihren Bedeutungen auf, obschon die meisten nur in dem einen oder andern Sinne in die deutsche Sprache übergegangen sind und überluden daher ihre Werke mit einem solchen Wortschwall, daß nach dem gemeinen Sprüchwort der Wald vor den Bäumen oder vielmehr die Bäume vor dem Wald nicht mehr zusehen waren. Das Wort Coffre z. B. zeigt bei uns blos eine Reisekiste an; wozu nüzt also die Bemerkung, daß es auch einen hohlen Leib, einen Ofen, eine Kammer, den Karren der Buchdruckerpresse, Geld und Vermögen bedeute. Das Wort Cornet, Cornete interessirt den Deutschen blos in seiner Bedeutung als Reiterfähnrich, Reiterfahne, und allenfalls Weiberhaube, nicht aber als Taffetbinde, Büschchen, Rittersporn, Quästchen u. s. w. — Jeder arbeitet also nach seinen Ansichten, und jeder findet ein Publicum das sie mit ihm theilt, wenn im übrigen seine Arbeit nicht als ganz gehaltlos erfunden wird.
Ich meines Orts suchte Vollständigkeit im Wesentlichen mit bündiger Kürze zu vereinbaren. Man wird daher in diesem Werke nicht leicht ein fremdes Wort vermissen, das in unsere deutsche Schrift- und Umgangssprache übergegangen ist *); doch ist aus der türkischen und den außereuropäischen Sprachen nur das Allergangbarste aufgenommen und geographische Namen sind ganz ausgeschlossen worden.
Um Raum zu ersparen vereinigte ich unter dem bekanntesten Haupt- oder Stammworte die davon abgeleiteten, die damit zusammengesezten und die nahe verwandten Wörter. Hier aber fand sich mehrmals Anstand, denn manche Ableitungen sind ihren Stammwörtern so unähnlich, daß ich besorgen mußte, die Ungelehrten, die ich doch bei meiner Arbeit besonders vor Augen hatte, möchten die Verwandtschaft derselben nie errathen. Wie könnten sie z. B. vermuthen, daß cessibel zu cediren, dissolubel zu dissolviren, torguiren zu Tortur, Sponsalia zu spondiren gehört, zumal da mehrere solche Wörter nur den ersten und zweiten Buchstaben mit einander gemein haben, z. B. Urin und Urokriterium? In solchen Fällen hielt ich daher für rathsamer, bei der alphabetischen Ordnung zu bleiben, oder jedes Wort an seiner Stelle besonders anzuführen und von dem einen auf das andere zu verweisen. Nach diesem Grundsätze wird man also immer die nächsten Verwandten, z. B. Chirurg und Chirurgie; Materie, material, Materialist, Materialismus, Materialität, materiel; Kritik, Kritiker, Kritikaster, kritisch, kritisiren beisammen finden; nicht aber z. B. Patentknöpfe unter Patelle, oder Patricier unter Patriarch,
Bei französischen, italienischen, englischen Wörtern hielt ich es für nöthig, die Aussprache beizufügen, so gut es sich nämlich thun ließ. Und hier habe ich um Nachsicht zu bitten, wenn ich den Laut des französischen g oder e, i, y und das j vor allen Selbstlautern mit sch, den Nasenlaut an, en, in, im &c. aber, mit ang, eng, begreiflich zu machen suchte. Es ist diese Aussprache für die meisten Deutschen, selbst wenn sie sie von gebornen Franzosen hören, unnachahmlich; wie sollte es daher möglich seyn sie ganz genau durch deutsche Schriftlichen auszudrücken? Man muß sich also begnügen, sie nur so gut es angehen will zu lehren. Nehmen die Franzmänner ein Ärgernis daran, so mögen sie bedenken, daß sie uns noch viel mehr Stoff zu Ärger, oder vielmehr Gelächter, geben, wenn sie unternehmen deutsch zu sprechen.
Die Länge und Kürze der Sylben bei der Aussprache der griechischen und lateinischen Wörter habe ich mit den gewöhnlichen metrischen Zeichen - und u angegeben, von welchen der Strich (-) lang das halbe Rund (o) kurz bedeutet.
Das männliche Geschlecht der Wörter ist mit m. (masculinum) das weibliche mit f. (femininum) das neutrale mit n (neutrum) bezeichnet. Oft aber fand sich, daß das ausländische Wort in der deutschen Sprache in einem andern Geschlechte gebraucht wird, als in dem Mutterlande, z. B. Mariage, Vase sind in Frankreich männlichen, in Deutschland aber weiblichen Geschlechts; Marsch hingegen ist bei uns männlich, bey den Franzmännern weiblich. In solchen Fällen ist von mir das Geschlecht angegeben worden, welches das Wort in der deutschen Sprache hat. Öfters fehlt die Bezeichnung ganz, weil ich sie für überflüssig hielt, z. B. bei den Namen männlicher und weiblicher Ämter und Würden, die in allen Sprachen von einerlei Geschlecht seyn müssen. Niemanden wird es z. B. in den Sinn kommen, daß Soldat, Weber, Student, Doctor, König bei den Ausländern eines andern als männlichen Geschlechts seyn könne.
Von der großen Menge deutscher Wörter womit manche Verfasser ähnlicher Wörterbücher die Bedeutung fremder Wörter zu erklären suchen, habe ich nur die treffendsten ausgewählt, und auf solche Weise ist mir es gelungen, bei meinem Werke die gesetzten Schranken einer mäßigen Bogenzahl nicht zu überschreiten. —
Ich habe nun nur noch meine Gedanken über die seit einiger Zeit in Vorschlag gebrachte gänzliche Ausstoßung der fremden Wörter aus der deutschen Sprache beizufügen.
Meiner Überzeugung nach, müssen nothwendig alle undeutschen Ausdrücke verbannt werden, die wir mit eben so edeln, vollgültigen und befriedigenden deutschen Worten ersezen können. Wir brauchen verdienstvolle Männer nicht zu veneriren, wir verehren sie; die Verkettung der menschlichen Schicksale ist viel einleuchtender als die Concatenation, und die Meisten werden besser verstehen was ein Schuldner und Gläubiger, als was ein debitor und creditor ist. Geschichte ist eben so gut als Historie, und Heer viel besser als Armee. Also fort mit solchen Fremdlingen, denn ihre Stelle ist bereits von Inländern würdig besetzt. Noch eine große Menge anderer ausländischer Wörter lassen sich auf das glücklichste in das deutsche übersetzen z. B. visum repertum mit Besichtigungsbericht &c. Fort also auch mit diesen.
Nun fragt sich aber, ob es gerathen sei, nach dem Vorschlag mehrerer Sprachreiniger, ein edles fremdes Wort mit einem unedlen einheimischen, ein befriedigendes mit einem unbefriedigenden, ein verständliches mit einem unverständlichen oder zweideutigen, ein ernstes mit einem lächerlichen zu vertauschen? — Und hier antworte ich ohne Bedenken Nein; das bessere ausländische Wort muß den Vorzug vor dem schlechtern inländischen erhalten, so wie edle Fremdlinge, die sich in einem Lande angesiedelt haben, mehr Achtung verdienen und genießen, als Inländer, die ihnen an Bildung und Verdiensten weit nachstehen. Und solcher eingebürgerten Fremden haben wir Deutsche uns eben so wenig zu schämen als andere Völker, die nicht minder stolz auf ihre Sprache seyn konnten, als wir auf die unsrige. Die Römer entlehnten, wie jedermann weiß, eine unzählige Menge Wörter aus der griechischen Sprache, und diese soll sich sehr durch das Persische und Scythische bereichert haben. Von den neuern Sprachen, der italienischen, französischen, die Töchter der lateinischen sind, und von der englischen, welche altbrittische, lateinische, deutsche, französische, und normannische Wörter in sich vereiniget, will ich gar nichts gedenken.
Bringt es demnach keine Unehre, das, was man nicht eben so gut in dem Lande hat, von den Nachbarn zu entlehnen, so werde ich viel lieber sagen ein Cardinal, als ein Rothhütler, ein Belletrist, lieber als ein Schönschriftler, ein Clarinet, lieber als eine Gellpfeife. Die Krieger werden sich freudiger mit einer Trompete als mit einer Heerschnetter zum Kampfe rufen lassen; die Zeichner sich lieber nach Gypsfiguren als nach Tünchbildern üben, und die übersehenen Jungfrauen williger in ein Kloster als in ein Frommsiedel gehen, und sich dort lieber die langsam dahin schleichenden Stunden mit einer Guitarre oder Mandoline als mit einer Handklemper verkürzen. Ein Miniaturkünstler würde es sogar für einen Schimpf halten, wenn man ihn einen Düpfelmaler, oder ein Pedell wenn man ihn einen Vorfüßler nennen wollte; auch würden sich viele Frauen und Mädchen beleidiget finden, wenn man ihre Haartouren mit dem Namen Stirnhatzeln verunehren wollte und sehr ungern würden sich die Perückenmacher Hatzler oder Hatzelmacher nennen lassen.
Andere neuerfundene deutsche Wörter sagen nicht was sie sagen sollen. Eine Lockenhaube z. B. kann nicht für eine Perücke gelten, denn man hat auch Perücken ohne Locken; und eine Drucktafel für Billard ist nicht nur zweideutig, weil man auch eine Druckertafel darüber verstehen kann, sondem auch unpassend, weil die Bälle nicht gedruckt sondern gestoßen werden.
Fremde eingebürgerte und von jedermann verstandene Wörter mit unverständlichen, zu allgemeinen oder zweideutigen deutschen Wörtern zu vertauschen, ist überhaupt ganz und gar nicht zu billigen, z. B. Gebräun für Chocolat, (da auch Caffee und Bier braune Getränke sind); Schreibwad, für Papier; ein Großurkundners-Statthalter, für Procanzler.
Manche deutsche Stellvertreter fremder Worte und Redensarten sind eben so lächerlich als unverständlich, z. B. er war die Leuchtstange und das Blasrohr des Aufstandes (fax et tuba) andere sind anzüglich wie z. B. Zwanggläubige für Katholiken.
Wörter solcher Art habe ich in mein Werk nicht aufgenommen, denn sie verdienen nicht die Aufnahme in unsere Sprache, die wohl einer Läuterung, nicht aber einer Verschlechterung bedarf. Es ist räthlich, das Unkraut von dem Waizen abzusondern, nicht aber, mit Ausrottung des Waitzens, Unkraut zu säen. Nicht anders hat es auch der verdiente Kolbe in seinem Werk über die Sprachmischerei der Deutschen gemeint. Sein Rath ist, zu reinigen, wo Reinigung möglich ist; nicht aber das Kindlein mit dem Bade auszugießen.
D. J. H. Meynier.
*) Die Zeitgeschichte führt indeß jährlich nur solche Wörter herbei wie z. B. die Carbonari und Calderari, von denen vor der neapolitanischen Revolution nie bei uns die Rede war. Man sehe daher den Anhang."